Zur Schreibaufgabe „Was nützen mir die Farben, wenn ich nicht weiß, was ich malen soll?“ vom Februar 2020

 

 Text von Runi Woblistin

 

„Was nützen mir die Farben, wenn ich nicht weiß, was ich malen soll“, sagte er resigniert zur Kursleiterin Marina, als ihm diese Acrylfarben und eine Leinwand mitbrachte.

„Hey, was ist los? Dein Pessimismus ist hier nicht angebracht“, lachte sie. Malen kann jeder. Du malst einfach aus dir heraus. Tauch deinen Pinsel in eine Farbe und fang an. Und kein Blabla jetzt. Ich denke, es gibt schlimmere Beschäftigungstherapien als zu malen. Ich will nichts mehr hören – ich will Farben sehen!“

Mit großen, dunklen Augen schaute er sie an. „Wie sprichst du mit mir? Ich werde mich in der Direktion über dich beschweren!“
„Ja, mach das, aber nicht bevor ich Farben auf deiner Leinwand sehe! Dann hast du von mir die Genehmigung, dich zu beschweren. Ich gehe sogar mit zum Direktor, wenn du möchtest!“
Er wurde unsicher. „Das würdest du machen?“
„Sicher! Das machen wir. Versprochen!“

Er schaute sie von der Seite an und wusste nicht, ob sie ihn jetzt verarschte, oder ob sie dies ernst meinte. Sie war jedenfalls eine Frau, die wusste, was sie wollte. Sie imponierte ihm. Ein bisschen erinnerte sie ihn an seine Mutter zuhause in Marokko. Die hatte die Familie auch im Griff, aber nur daheim. Da galt, was sie sagte. Sobald sie aber außer Haus waren und sie ihren Schleier trug, sah sie immer sehr demütig aus und ließ Vater alles entscheiden. Seiner Mutter wäre nie eingefallen, einen Mann in der Art anzureden wie diese Kursleiterin. Das war – ja, was war es? Unmöglich war das, fand er. Unmöglich!

In seinem Kopf sprangen die Gedanken hin und her. Sollte er jetzt malen oder nicht? Sollte er sich einer Frau beugen oder nicht? Seine österreichischen Freunde sagten immer, dass toughe Frauen im Vormarsch seien und man als Mann darauf achten sollte, nicht unter die Räder zu kommen. Was das bedeute, fragte er einmal.
„Na, du musst schauen, dass du wenigstens daheim die Hosen anhast!“, sagten sie und klopften ihm lachend auf die Schultern. Er verstand zwar nicht ganz, was sie meinten, aber er ahnte, was es heißen könnte. Sein Vater hatte nämlich daheim nichts zu entscheiden. Das machte alles seine Mutter, obwohl sie nie Hosen trug.
Und diese Frau hier? Die hatte hier Hosen an. Ein eigenartiges Land – dieses Österreich, dachte er.

„Na, Herr Akabi? Haben Sie sich entschlossen, Ihren Pinsel jetzt in eine Farbe zu tauchen und damit – wie alle hier – diese Leinwand zu verschönern?“
Alle schauten auf ihn und lächelten. Oder lachten sie ihn aus? Er war wütend und seine männliche, marokkanische Seele war verletzt. Er wird es ihr schon zeigen! Zornig tauchte er seinen Pinsel in die Farbe und klatschte einen riesigen roten Klecks mitten auf seine Leinwand. Drum herum malte er eine Spirale, die diesen dicken, roten Kreis umspielte. So! Fertig.

„Sehr schön! Das könnte ein Hundertwasser sein!“ kam Marinas Stimme aus dem Eck links hinten. Alle schauten auf sein Bild.
Machte sich diese Frau über ihn lustig?
„Wer oder was ist Hundertwasser?“, fragte er.
„Oh, meinte sie, das ist eine sehr gute Frage. Da können wir gleich ein wenig Kunstgeschichte einfließen lassen in unseren Kurs:
Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt – ja, so nannte er sich – war ein österreichischer Künstler, der vorrangig als Maler, aber auch in den Bereichen Architektur und Umweltschutz tätig war. Ein visionärer Mensch … leider schon vor 20 Jahren gestorben.“
Sie erzählte mit großer Begeisterung, was Hundertwasser alles gemalt und erschaffen hatte.

Langsam fing sie an, auch ihn zu begeistern. Sie war eine gescheite Frau, das beeindruckte ihn. Er kam von dem Entschluss ab, sich über sie beschweren zu wollen. Ihm fiel ein, was seine österreichischen Freunde immer sagten: Eine Frau, die ihren Mann steht – ist gut, Akim. Du wirst das noch sehen. Interessante Formulierungen haben sie in dieser Sprache. Nicht so blumig wie im Arabischen, aber interessant.

Nach dem Kurs gingen viele immer ins Café direkt im Haus, und Akim ging heute mit, was er sonst nie gemacht hatte. Er wollte diese Frau näher kennenlernen und schaute, dass er neben ihr zu sitzen kam. Sie redeten erst über verschiedene Farben und Maltechniken und irgendwie waren sie dann auf Sprachen zu sprechen gekommen.
„Deutsch ist für mich eine eigenartige Sprache. So hart für mich“, meinte er.
Dem konnte sie nichts entgegenhalten, denn sie kannte ein paar seiner arabischen Gedichte, die für sie zwar schwülstig, aber dennoch sehr einfühlsam waren. Es war wirklich eine andere Welt.

Sie verabschiedete sich und ging nachhause. Sollte ihre Stärke ihrer Liebe wieder einmal im Wege stehen? Vielleicht war es auch diesmal so?
Und sie dachte: „Was nützen mir die Worte, wenn ich es ihm nicht sagen kann, was ich fühle?“